Frage an Herrn Prof. Dr. Berg:
Wie können Unternehmen so wirtschaften, dass die planetaren Grenzen nicht überschritten werden?
10. Januar 2024
Prof. Dr. Christian Berg, Experte für nachhaltiges Wirtschaften und Beirat der ConClimate GmbH, gibt in einem Fachbeitrag Antworten auf diese komplexe Frage.
Wackler Vorstand/CEO Peter Blenke fragt: Die Welt befindet sich im Dauerstress. Das Problem ist aber nicht nur die bloße Anzahl an Krisen und Konflikten, sondern auch deren Gleichzeitigkeit. Wie können wir es schaffen, dennoch ein Wirtschaften innerhalb der planetaren Grenzen sicherzustellen?
Prof. Dr. Christian Berg, Experte für nachhaltiges Wirtschaften und Beirat der ConClimate, gibt Antworten auf diese komplexe Frage.
Prof. Dr. Berg: Das ist eine schwierige Frage, die nicht leicht so allgemein zu beantworten ist …
Aus Schaden wird man bekanntlich klug, deshalb zunächst der Blick nach hinten: wir haben externe ökologische und soziale Kosten wider besseres Wissen viel zu lange ignoriert, und das fällt uns jetzt auf die Füße. Spätestens seit den frühen 1980er Jahren können wir ja die Klimafolgen fossiler Nutzung genau berechnen, doch erst jetzt gelang es der Weltgemeinschaft, sich auf einen langfristigen Ausstieg aus den fossilen Energien zu einigen.
Ein zweites Problem ist, dass aus der wissenschaftlichen Erkenntnis, dass wir das Klima schützen müssen, noch kein politisches Handeln folgt. In der Politik geht es insbesondere um den Ausgleich von Interessen. Aber der öffentliche Druck auf die Politik ist erst in den letzten Jahren so gewachsen, dass Veränderungen möglich sind. Und leider gibt es auch die (oft verdeckten) Interessen einflussreicher Lobbygruppen, die jede Veränderung blockieren wollen, wie man bei der COP28 wieder sehen konnte. Aus Fehlern zu lernen heißt, wissenschaftliche Evidenz ernst zu nehmen! Wir vertrauen ja auch sonst überall im Leben der Wissenschaft und der Technik – etwa, wenn man das Smartphone nutzt oder in einen ICE oder ein Flugzeug steigt.
Wieso sollte man dann wissenschaftlichen Aussagen zum Zustand des Erdsystems nicht dasselbe Vertrauen schenken und diese ernst nehmen? Ich fürchte, das hat viel mit Vogel-Strauß-Politik zu tun…
Wir müssen also wissenschaftliche Evidenz ernst nehmen. Wir müssen aber bei der Transformation auch für eine gerechte Lastenverteilung sorgen. Es wäre aus meiner Sicht dringend an der Zeit, ehrlich über eine gerechte Verteilung dieser Transformations-Kosten zu diskutieren. Wir wissen ja, dass der ökologische Fußabdruck im Schnitt mit dem Einkommen wächst. Diejenigen zu unterstützen, die ohnehin schon wirtschaftlich stärker sind, ist weder gerecht noch hilft es der Transformation. Denn damit die Transformation gelingt, brauchen wir eine breite Akzeptanz – und die wiederum wird nur gelingen, wenn die Menschen nicht das Gefühl haben, dass die Schwachen draufzahlen.
Aus meiner Sicht bietet das Verursacherprinzip einen unschlagbar einfachen Ansatz, wie eine gerechte Verteilung aussehen könnte. Denn es besagt ja, wer Kosten oder einen Schaden verursacht, muss dafür aufkommen. Das bringen wir doch schon unseren Kindern im Kindergarten bei, es ist ein uraltes Rechtsprinzip und sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.
Wie kann das beim Klimaschutz praktisch umgesetzt werden? Angenommen, wir hätten einen angemessenen CO2-Preis, also einen Preis, der die wahren Kosten abbildet. Laut Umweltbundesamt wären das für eine Tonne CO2 zwischen 200 und 700 Euro. Würde das Verursacherprinzip nun konsequent angewendet werden, würde also jede Tonne CO2 einen Preis von mindestens 200 Euro haben – heute 45 EUR. Aber dieses Geld würde der Staat nicht behalten, sondern direkt an die Bürgerinnen und Bürger zurückzahlen – pauschal für jede und jeden gleich. Alle würden am 1. Januar einen Scheck bekommen, der dem durchschnittlichen CO2-Budget entspricht, das wir in Deutschland verbrauchen – mehr als 10 Tonnen pro Kopf und Jahr! – also dementsprechend 2.000 Euro.
Das ist der Gedanke beim Klimageld. Alle bekommen dasselbe Klimageld, aber die Kosten für die Emissionen werden im Verhältnis der tatsächlichen Verursachung über einen CO2-Preis berechnet. Deshalb würde sich hier ganz von selbst ein sozialer Ausgleich ergeben. Die Vielflieger würden schon nach wenigen Monaten ihr Budget verbraucht haben (zumal dann, wenn die Subventionierung des Fliegens aufhören würde), während sozial schwächer Gestellte finanziell profitieren würden. Im Gegenzug könnte man sehr viele Subventionen, Steuervergünstigungen etc. abschaffen und Bürokratie abbauen.
Eine andere Altlast, mit der wir zu kämpfen haben, ist die Tatsache, dass Kostensenkungen und Gewinnmaximierung viel zu lange das Maß aller Dinge waren, auch dort, wo sie nicht hingehören. Jahrzehntelang wurde viel zu wenig in die Bahn, in Brücken, Schulen, Kliniken, für die Digitalisierung oder die Energiewende investiert. Und jetzt kommt alles auf einmal. Es muss uns klar sein, dass Resilienz nicht entstehen kann, wenn Effizienz der alleinige Maßstab ist. Damit ein System, ein Unternehmen, eine Gesellschaft widerstandsfähiger, resilienter werden kann, braucht es Notfallpläne, es braucht Reserven, Puffer und in verschiedener Hinsicht auch Diversifizierung. Das ist nicht zum Nulltarif zu haben. Aber nur mit Investitionen werden wir auch wieder resilienter werden. Wer als Unternehmen oder Kommune vor zehn, fünfzehn Jahren begonnen hat, die eigene erneuerbare Energieversorgung aufzubauen, musste zunächst investieren und hat seine Gewinne reduziert, steht angesichts explodierender Energiepreise aber heute gut da.
Wie können nun Unternehmen so wirtschaften, dass die planetaren Grenzen nicht überschritten werden? Erstens sollten sich Unternehmen über die ökologischen und sozialen Implikationen ihres Kerngeschäfts im Klaren sein. Die Politik nimmt ja immer mehr die „doppelte Materialität“ als Maßstab für die Beurteilung unternehmerischen Handelns. Das bedeutet, dass Unternehmen einerseits darlegen müssen, inwiefern die eigene Geschäftstätigkeit soziale und ökologische Fragen betrifft, andererseits müssen auch Risiken und Auswirkungen auf Unternehmen, die sich aus Veränderungen in Umwelt und Gesellschaft ergeben, bewertet werden. Natürlich wissen die meisten Unternehmen zumindest qualitativ über die Folgen ihrer Geschäftstätigkeiten recht gut Bescheid – aber die wenigsten können diese quantifizieren. Wer aber Fortschritt machen möchte, muss das auch messen können. Deshalb sind verlässliche Daten die Grundlage für jede Verbesserung, also zum Beispiel Daten zu den verschiedenen Arten der eigenen Emissionen (Scope 1, 2 oder 3).
Dann sollte man, zweitens, die Emissionsreduktionsziele an wissenschaftlicher Evidenz ausrichten. Es genügt leider nicht die Emissionen relativ zum Umsatz zu senken, wenn die Gesamtemissionen immer noch zunehmen. Letztlich zählt nur das Ergebnis – und das heißt: die Emissionen müssen mittelfristig ganz auf null gehen. Immer mehr Unternehmen lassen ihre Ziele deshalb von unabhängiger Seite daraufhin prüfen, ob diese mit den Pariser Klimazielen kompatibel sind (sogenannte „wissenschaftsbasierte Reduktionsziele“, z. B. auf Basis des Net-Zero Standards der Science-Based-Targets initiative, SBTi).
Und schließlich ist natürlich wichtig, dass man nicht nur die Dekarbonisierung und das Klima in den Blick nimmt, sondern auch die Kreislaufwirtschaft, die Rohstoffeffizienz, die Biodiversität oder die sozialen Standards in der Lieferkette, wenngleich in diesen Bereichen eine verlässliche quantitative Überprüfung der Kompatibilität mit den planetaren Grenzen vielfach noch nicht möglich ist.
Das Unternehmen von morgen wird, das ist meine feste Überzeugung, nicht mehr nur nach finanziellen Kennzahlen beurteilt werden, sondern anhand der Frage, welchen Wertbeitrag es leistet für die verschiedenen Stakeholder – also nicht nur die Anteilseigner, sondern auch die Belegschaft, die Gesellschaft, die Umwelt oder die Menschen in den Zulieferbetrieben. Wer heute damit anfängt entsprechend zu wirtschaften, ist morgen besser aufgestellt und wettbewerbsfähiger. Ob wir dann die planetaren Grenzen einhalten, ist nicht ausgemacht. Aber die Richtung ist vorgezeichnet – wir müssen uns nur bewegen.
Der Autor hat sich in seinem Buch „Ist Nachhaltigkeit utopisch?“ – ein Bericht an den Club of Rome – ausführlich mit der Frage befasst, welche Barrieren der Nachhaltigkeit wir zu überwinden haben und wie durch Prinzipien nachhaltigen Handelns die Unterstützung der Transformation möglich wird.
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